Christian Morgenstern:
Das Perlhuhn
Das Perlhuhn zählt: eins, zwei, drei, vier…
Was zählt es wohl, das gute Tier,
dort unter den dunklen Erlen? Es zählt, von Wissensdrang gejückt,
(die es sowohl wie uns entzückt):
die Anzahl seiner Perlen.
Im Gegensatz zum Willen zur Macht, den Nietzsche, als einziges der Natur zugrunde liegendes Gesetz, konstatierte, scheint das Perlhuhn (genauer das Helmperlhuhn – Numida meleagris) mit einer außerordentlichen Lebens– oder Todesgleichmut und gleichzeitig mit einem unbändigen Überlebensglück ausgestattet. Viel stärker, als bei jedem Kind vorhanden oder einem Besoffenen beigemessen, ist das Perlhuhn einerseits unglaublich doof und andererseits nahezu untötbar.
Jeder Motorradfahrer kann wahrscheinlich bestätigen, dass er zwar Perlhühner, dösend, tapsend oder auf der Strasse herumirren sah, es aber noch nicht fertig brachte, eines dieser Tiere zu überfahren.
Erinnern Sie sich an die alten Slapstickfilme:
Ein Mann steht irgendwo herum und ist mit irgendwelchen „Dingen“ beschäftigt. Er verbringt seine Zeit mit wichtigen Tätigkeiten wie: Träumen, Frauen hinterher sehen, Zeitungslesen oder auch nur dösig in der Gegend herumstehen.
Als nächstes sieht der allwissende Zuschauer ein Unheil auf ihn zukommen:
Ein Klavier fällt herab, ein Auto ohne Bremsen rast auf ihn zu, ein Bandit versucht ihn, mittels einer Pistole, zu erschießen.
Jedermann denkt, dass es nun aus ist mit dem „Helden“ (in Wirklichkeit denkt das natürlich niemand mehr, denn man kennt solche Filmsituationen und weiß: der Held überlebt). Ich meine diese Filme, in welchen der „Held“ im letzten Moment einen Schritt zur Seite tritt und das Auto ihm nicht schaden kann, er die Zeitung zuschlägt, sich auf den Weg macht und das Klavier trifft ihn nicht, etwas aufhebt und dem Schuss ins Herz entgeht.
Der Held wird wahrscheinlich niemals erfahren, dass er beinahe erschlagen, erschossen oder von einem Auto überfahren wurde.
Noch viel weniger erfahren wird er, dass er an einer bestimmten, unangemessen großen, Zerstörung von Leben oder öffentlichem Eigentums schuld ist. Die Kugel trifft, statt seiner, einen Passanten. Das Klavier erschlägt den gerade aus dem Zoo entlaufenden Löwen, das Auto überfährt zwar nicht den Helden, zerstörte aber durch den beibehaltenen Schwung eine Reihe von Marktständen, stößt einen Maler von seiner Leiter und zu guter Letzt stößt das Auto direkt durch eine Wand in den Tresor der Bank der Stadt, so dass sich jeder an den frei herumfliegenden Geldscheinen bedienen kann. Der Held aber, weiß nichts von seiner „Schuld“ und geht kopfschüttelnd, über so viel Unvernunft der Anderen, durch das Chaos seiner Wege…
Genauso verhält sich ein Perlhuhn!
Bloß lächeln diese blöden Viecher nicht. Zumindest konnte ich noch nicht sehen, ob der viel zu kleine Schnabel an dem viel zu kleine Kopf mit dem viel zu kleinen Gehirn zu einem Lächeln verzogen ist, wenn ich, mal wieder schlingernd, einem Beinahezusammenstoss mit einem Perlhuhn entgangen bin.
Der Witz ist, dass, selbst wenn man seinen Reflexen nicht nachgibt und auf solch ein Tier zuhält, dieser Vogel, kurz bevor er den tödlichen Stoß erhält, den besagten Schritt bei Seite macht. Man selbst schlingert, das Motorrad gerade noch haltend, völlig überrascht von dieser unerwarteten Reaktion, die Strasse entlang. Im Rückspiegel meint man das Perlhuhn davon watscheln zu sehen…
Hat es nicht eben mit dem Kopf geschüttelt?!
Super! Und Du hast recht, selbst im Auto-Rückspiegel sieht man sie den Kopf schütteln!