Manchmal werde ich von der Gegenwart eingeholt. Ich bin dann erstaunt über die Welt um mich herum und sehe mir verwundert das Geschehen an. So auch in diesem Fall:
Vor ein paar Jahren schlug ich mich mit der Idee herum, einen Artikel über Benno Ohnesorg, respektive über seine und die Zeit nach ihm, zu schreiben.
Ich fing an zu schreiben – und plötzlich schrieb jeder über ihn. Der Grund war die anscheinende Stasitätigkeit seines Töters Karl-Heinz Kurras.
Mein Vorhaben erschien dadurch wie ein den Medienthemen hinterherhetzender Wiederkäuer. Ich möchte dem geneigten Leser, der geneigten Leserin jedoch versichern, dass die Idee und der Löwenanteil des nachfolgenden Textes schon lange bevor die Stasiakten des Karl Heinz Kurras entdeckt wurden, geschrieben war.
Ich passe meinen Text nicht an. Ich gehe dadurch, aus aktueller Perspektive, zwar an der einen oder anderen Stelle ggf. von falschen Voraussetzungen aus, glaube jedoch, dass es nichts an meinem Leitgedanken ändert, wenn Herr Kurras ein Stasimitglied war, denn es verändert nichts an der Vergangenheit und vor allem, verändert das nichts an der Wirkung dieses Teils der Geschichte auf die Gegenwart:
In diesem Sinne – der Artikel:
(Stand: Juni 2009)
Vielleicht gibt es tatsächlich Zeiten, in welchen das eine oder andere gesagt wird, gesagt werden muss, ohne dass der Einzelne etwas daran ändern und ohne dass der Einzelne sich dem entziehen kann.
Wenn man den Begriff „Bedeutsamkeit“ bei Wikipedia nachschlägt, kann man dort, unter anderem, lesen:
„Bedeutsamkeit (Relevanz, Wichtigkeit) ist eine Bezeichnung des Grades der Wichtigkeit, der Sinnhaftigkeit, der Genauigkeit oder für die Stärke des Einflusses auf andere Dinge und Zusammenhänge.“1
Nach meiner Meinung, wird Bedeutung vom Menschen gegeben.
Man kann zwar Kriterien festlegen, die als Maßstab für die Bedeutsamkeit gelten sollen, aber letztendlich sind es dennoch immer die Menschen selbst, die Bedeutung (ver)geben.
Man könnte daraus schließen (und ich schließe daraus), dass Bedeutung nur verstanden oder gar vermitteln werden kann, wenn man nicht nur das Gegebene und dessen Kontext sieht, sondern auch versucht den Menschen, der das Geschehende erlebt und gestaltet hat, zu verstehen.
Also zur Sache und zuvorderst in die Vergangenheit:
Ich komme also zurück zur Überschrift dieses Artikels.
„Warum Benno Ohnesorg umsonst starb“
Wer war Benno Ohnesorg? Warum starb er? Und, wieso soll das heute noch von Bedeutung sein?
Benno Ohnesorg war ein junger – wenig politischer – Student, der in einer politisch brenzligen Zeit lebte und zur falschen Zeit am falschen Ort das Richtige tun wollte: Er versuchte einem Menschen, der angegriffen wurde, beizustehen. Ohnesorg wurde dabei von einem Polizisten erschossen.
Das geschah am 2. Juni 1967 in einem Berliner Hinterhof.
Nach meiner Meinung war Benno Ohnesorgs Tod der Auslöser einer Revolution. Sein Tod führte dazu, dass junge Menschen versuchten, wachen Auges die Realität des Landes in dem sie lebten, zu erfassen. Sein Tod war der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt – ein Tropfen mit folgender Besonderheit:
Ohnesorg war offensichtlich und in aller Öffentlichkeit unschuldig.
Er ist unschuldig gestorben und es war kaum möglich, diese Unschuld zu vertuschen. Die Einzelheiten will ich hier nicht erörtern, denn man kann sie in einem hervorragenden Wikipediaartikel nachlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Benno_Ohnesorg
Würde Benno Ohnesorg noch leben, würde wahrscheinlich heute niemand Personen wie Rudi Dutschke, Ulrike Meinhof, Andreas Baader oder Gudrun Ensslin kennen, denn ohne Benno Ohnesorg hätten Sie nicht aufbegehrt oder wären schnell zu Fall gebracht worden.
Vermutlich hätte es keine RAF gegeben und selbst die BILD hätte vor einiger Zeit nichts über einen Herrn Christian Klar zu schreiben gewusst.
Vielleicht liege ich mit diesen Vermutungen falsch. Andere enthalten sich der Diskussion über Vermutungen wie diese – und auch ich möchte nicht darüber streiten, denn es geht mir um eine Zeit, wie sie war, und nicht darum, wie sie hätte sein können. Durch die Mutmaßung „was alles nicht passiert wäre“, will ich lediglich die Besonderheit der Folgen von Ohnesorgs Tod hervorheben.
Also weiter:
Damals fiel durch Benno Ohnesorgs Tod ein besonderes Licht auf die Oberen des jungen Staats „Deutschland“. Ein Licht, das ihre Skrupellosigkeit deutlich zeigte. Die Oberen konnten die Protestierenden nicht mehr verunglimpfen, denn diese sagten schlicht:
„Die (Polizei/der Staat/die Altnazis) haben zuerst und ohne Grund geschossen!“ und lieferten sich so eine Legitimation, um gegen den Staat und gegen die Menschen, die für die herrschende Gesellschaft standen, zu agieren.
Ohne diesen Aufschrei hätte der Protest der 68’er niemals die Wucht annehmen können, die er letztendlich in Deutschland hatte, denn das, was die damalige Bewegung ausmachte, war, dass es gut Gründe für die Proteste gab:
Die Väter und Großväter der Protestierenden übersahen die eigene Vergangenheit geflissentlich. Aus Nazis waren, mit erstaunlich geringen Verlusten, „lupenreine Demokraten“ geworden. Natürlich, nicht alle Politiker waren Nazis in neuen Gewändern – aber einige waren es und diese verhielten sich, nach meiner Meinung, genauso unduldsam wie sie es schon im Nazi-Regime taten.
Ich gehe davon aus, dass die Jugend der sechziger Jahre sich ohnmächtig in dem Wissen fühlen musste, dass die Leute, die vor wenigen Jahren noch für die grausamsten Verbrechen verantwortlich waren, schon wieder darüber entscheiden konnten, was richtig und was falsch war, dass sie schon wieder die Macht besaßen.
Diese Situation hatte aber auch etwas Gutes – wenn man so will:
Es gab etwas, gegen das man anstürmen konnte, etwas, das Angriffsfläche bot.
Die Motivation der damalig Protestierenden wurde nicht nur durch den Tod eines Unschuldigen gestärkt, sondern zusätzlich von einer Figur, die die Falschheit der damalig bestehenden Exekutive symbolisierte, geradezu herausgefordert:
Karl-Heinz Kurras, der Polizist der schoss, der bis heute von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt ist.
Zudem kam, dass die „lupenreinen Demokraten“ Schwierigkeiten damit hatten, sich zu verstellen. Sie wollten den andersartigen Willen Anderer nicht akzeptieren und reagierten auf ihn mit Verabscheuung und Gewalt. So wurde versucht, die Schuld an Ohnesorgs Tod, den Demonstranten zuzuschanzen – was nicht gelang. Die Demonstranten – sprich, ein Teil der damaligen Jugend – arbeiteten hart an ihrer Reputation in der Öffentlichkeit und ergriffen die Möglichkeit – das erste Mal seit sehr langer Zeit – aufzubegehren.
Auch wenn es – im Verhältnis zur Bevölkerung der BRD – nur eine kleine Anzahl von Menschen war, die zu dieser Zeit aktiv wurden, sie handelten in einem jungen Staat, in dem die Staatsgewalt noch nicht sehr fest stand. Ich denke, es schien es möglich, dessen Gefüge relativ leicht zu bewegen, zu verändern ja, zu erschüttern.
So wurde plötzlich laut gedacht. Man entwarf Utopien von neuen Lebensformen; es wurde die Idee des menschlichen Zusammenlebens neu auf den Plan gerufen und der Status quo infrage gestellt.
Es traten Personen auf den Plan, die echte Visionen hatten: Rudi Dutschke war so einer. Natürlich gab es auch Extremisten. Personen, die die Meinung vertraten, man könne der Gewalt des Staates nur mit Gewalt begegnen. Ulrike Meinhof gehörte dazu – sie hat mit ihrem Tod bezahlt – der lediglich redegewaltige Rudi Dutschke allerdings auch.
Was damals geschah, endete nicht mit der Revolution, die sich mancher wünschte. Gleichwohl mit einem Umbruch, der viele neue Möglichkeiten bot und viele – wenn auch kleine – Veränderungen nach sich zog:
Ich gehe davon aus, dass es ohne diese Zeit mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann, dem Recht auf Homosexualität, der Möglichkeit der politischen Mitbestimmung Studierender und der Umweltpolitik nicht so gekommen wäre, wie es sich heute darstellt. All diese Beispiele haben ihren Ursprünge der beschriebenen 68’er Bewegung.
Wie oben schon gesagt: Vielleicht hätte es garnicht anders kommen können, denn die Zeit war reif dafür. Betrachtet man die Ereignisse in den USA, Frankreich, ČSSR, Italien, Polen u.A. in dieser Zeit, scheint diese These sehr zu gewinnen. Aber natürlich bedingt das eine das andere. Und später zu behaupten, einzelne Bewegungen sein unabhängig von anderen entstanden, wäre mehr als unlauter.
So gehe ich davon aus, dass eben doch Menschen aktiv werden müssen und nicht die „Zeit“ etwas bedingt. Ich gehe davon aus, dass es vielleicht bessere und schlechtere Zeiten für Protest und Widerstand gibt, denn niemand wird mir widersprechen, wenn man sagt, dass der Widerstand während der NS Zeit lebensgefährlich, während er in den 68zigern nur noch bedingt gefährlich war und heute, in unserem Lande – wie es jetzt ist – eher gemütlich wäre.
Von allein gibt es niemals einen Umbruch. So sind die Studenten der 68’er auf die Straße gegangen und haben gleichsam angefangen Samen in das Beet des Staates zu streuen. Samen, die Gleichberechtigung hießen und Freiheit und Gleichheit und Umwelt und Wahrheit und Liebe – aber auch Misstrauen, Hass, Wut, Furcht, Angst und Dogmatik.
Nachtrag (April 2012):
Irgendwie kommt es mir so vor, als gäbe es das heute nicht mehr. Die aktuelle anti ACTA Bewegung wirkt im Vergleich dazu irgendwie schal und sinnfrei – man lehnt sich gegen etwas auf, dass der Mühe nicht wert scheint und immer etwas nach „man will der Anderen geistiges Eigentum stehlen“ riecht.
Zumindest aber hinterlassen die anti ACTA Proteste bei mir das Gefühl, es sei eine Ersatzprotestbewegung, die anstatt der eigentlich notwendigen Proteste geführt wird, weil man hier etwas hat, gegen das man sich wehren kann. Und, vor allem, weil es einem persönlich ein wenig wehtun könnte, wenn die ACTA beschlossen würde – während man von den wirklich relevanten Problemen kaum unmittelbar betroffen ist.
Einzelnachweise (Stand 2009):
1http://de.wikipedia.org/wiki/Bedeutsamkeit
Literatur:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bedeutsamkeit
http://de.wikipedia.org/wiki/Benno_Ohnesorg
http://de.wikipedia.org/wiki/Rudi_Dutschke
http://www.stern.de/politik/historie/316834.html?eid=501091
Uwe Timm: Der Freund und der Fremde, dtv 2007
Heiko Drescher: Genese und Hintergründe der Demonstrationsstrafrechtsreform von 1970 unter Berücksichtigung des geschichtlichen Wandels der Demonstrationsformen (PDF-Datei, S. 86f)
http://www.morgenpost.de/printarchiv/seite3/article1099722/Karl-Heinz-Kurras-leugnet-seine-Schuld.html
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