Theater Osnabrück: Felix Krull – oder: wenn Thomas Mann vom Kopf auf die Füße gestellt wird

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v. L. n. R. Marcus Hering  und Jakob Plutte
Foto: Marek Kruszewski, Danke für die Freigabe an das Theater Osnabrück

Gestern Abend war ich, zusammen mit einigen Freunden, mal wieder im Osnabrücker Stadttheater. Das Stück „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ wurde aufgeführt.

Da es vorab eine recht schlechte Kritik in den Neuen Osnabrücker Zeitung gab, besuchten wir dieses Stück mit einer gewissen Skepsis.  Zudem bin zumindest ich kein großer Freund von Manns Büchern.
Wir wurden allerdings positiv überrascht und erlebten einen gelungenen Theaterabend.

So sehr meinen BegleiterInnen und mir der Abend auch gefallen hat, so wenig ist dieses Stück anscheinend für alle Menschen geeignet. Mindestens 5 Personen, die vor mir saßen, sah ich angewidert das Theater verlassen (und ich selbst saß lediglich in der 4. Reihe des Parketts). Warum sie gingen? Weil in Frank Abts Inszenierung – in alter Tradition des Schauspiels – sämtliche Rollen ausschließlich mit männlichen Darstellern besetzt waren, natürlich einschließlich der intimsten und erotischen Momente. Anscheinend hatten sich einige BesucherInnen hierfür weibliche Double gewünscht, denn diese Szenen hatten sie offensichtlich sehr schockiert…

Dabei haben diese BesucherInnen wirklich etwas verpasst. Denn die schauspielerischen Leistungen ließen dieses Stück ebenso glaubwürdig wie lebendig werden. Vor allem die weiblichen Rollen gaben dem Stück ein interessanten und guten Beigeschmack der, bleibt man bei dieser kulinarischen Metapher, dem gesamten Menü einen besonderen Geschmack verlieh. Das Stück wäre ohne diesen Rollenwechsel zwar ebenfalls gut – aber eben nur gut und nichts Besonderes. Wie wenn man sich eine einfache Tomatensuppe von einem wirklich guten Koch zubereiten lässt: Man entdeckt Nuancen, die man so in Tomatensuppen nicht kennt und vielleicht auch nicht erwarten würde. Wie bei diesem Schauspiel kann man sich aber ebenfalls sicher sein, dass das so wohl nicht jedermanns Geschmack sein wird.

Da ich gerade diesen Rollentausch so interessant und sehenswert fand, soll dieser auch den Schwerpunkt meiner Besprechung ausmachen:

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Jakob Plutte (als Felix Krull) und Alexander Jaschik (als Genovefa).
Foto: Marek Kruszewski, Danke für die Freigabe an das Theater Osnabrück

Thomas Schneiders Madame Houpflé gelang verzweifelt fantastisch und ließ tief in die Seele des Menschen blicken. Trotz seines langem grauen Rauschebarts nimmt man ihm die Erotik einer in die Jahre gekommenen erfolgreichen Frau ab, welche die Liebe und Gefühle nur noch in den Extremen erleben kann. Anzumerken sei vielleicht, dass es sich mutmaßlich um den kratzigsten Bühnenkuss gehandelt haben dürfte, den ich je gesehen habe.Aleander Jaschniks gelang das junges Zimmermädchen Genovefa ebenso verführerisch zurückhaltend wie er eine verzweifelt verliebte Eleanor mimte, welche man tröstend und beruhigend in die Arme nehmen wollte, um ihr zu sagen dass es noch andere als den Krull für sie geben wird.

Der zuvor von ihm verkörpert Vater Krulls – eine traurige und gleichzeitig lebenslustig Gestalt – spielte er ebenso eindringlich, nur dass ihm die Rolle eines älteren Herren, besser auf den Leib geschrieben ist und man hier nichts anderes erwartet hat.

Tilman Meyns Rozsa wirkt ein wenig überzogen und hatte die Tendenz zum Slapstick  Allerdings muss man ihm zugestehen, dass diese Rolle dem Schauspieler die Komik  geradezu aufzwingt. Das er aber nicht nur komisch ist, bewies Meyn sehr glaubwürdig als Felix Krull.

Jakob Pluttes Zouzou ist niedlich und in ihrer zurückhaltenden Keckheit nicht minder gut gespielt wie die Frauenrollen seiner Kollegen.

Felix Krull selbst wird in den unterschiedlichen Episoden seines Lebens durch Pluttes,  Meyns, Jaschnik und Hering gespielt. Jedem gelingt die Rolle wirklich sehenswert. Vielleicht sticht Marcus Herings Krull ein wenig hervor, in seiner leicht selbstherrlichen Art – aber dass sind Nuancen, die ein anderer auch ohne weiteres und ohne meinen Widerspruch anders sehen könnte.

Fazit:

Wer den  ausladendenden intellektuellen Stil Manns liebt, wer seine Bücher aus diesem Grunde liest, wer sich also nicht wegen der Romanfigur Felix Krull und dessen Geschichte ins Theater begibt, wird von diesem Stück enttäuscht sein.

Thomas Manns „Bekenntnisse eines Hochstaplers“ wurde nach meiner Meinung in dieser Inszenierung von dem Kopf auf die Füße gestellt.  Man erlebt einen jungen drängenden selbstherrlichen wie klugen Felix Krull, der sein Leben vorantreibt und dessen Lebenslust und -verwirrungen ständig zu spüren sind. Das gesamte Stück ist im Gegensatz zu Thomas Manns Büchern enorm kurzweilig, es gibt keinen Moment der Langatmigkeit.

Die Besetzung aller Rollen durch Männer macht dieses Stück äußerst erfrischend, dabei oftmals erstaunlich wenig komisch obgleich man anderes annehmen sollte.
Es gelang Frank Abt mit seiner Inszenierung und den Schauspielern mit Ihren Künsten mich gut gelaunt, manchmal ein wenig irritiert aber durchweg begeistert durch die Geschichte zu tragen. Ob die männlich Besetzung einen tieferen künstlerischen Zweck verfolgte und dieser Versuch gelang, sei dahingestellt, unterhaltsam war der Rollentausch allemal und lehrte mich, dass gute Schauspieler mehr spielen können, als nur sich selbst.

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Foto: Marek Kruszewski, Danke für die Freigabe an das Theater Osnabrück

Einzig der Gesang an diesem Abend war, nun ja, er war nicht schlimm. Aber gut waren die Gesangseinlagen auch nicht. Da es sich bei dem Stück um kein Musical handelte, stören die Gesänge nicht, sondern waren leicht zu verdauendes Beiwerk.

Alles in allem ein gelungener Theaterabend – der mich über die Homophobie einiger MitbürgeInnen staunen lies. Ein Stück, dass ich aber allen anderen (auch „nicht Thomas Mann Fans“) empfehlen kann.

 

 

 

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