Vorwort
Dirk: „ich hab ein Kratzen im Hals“
L: „rednich du läufst“
Dirk: „meine rechte Wade ist platt, schau, ich humple wie verrückt…“
L: (zieht die Augenbrauen hoch…)
Dirk: „Ok, verstanden…“
L: (ungläubiges Nicken…)
Dirk: „ja, klar, ich werde laufen. Auch wenn das mein ungeborenes Kind… warum schaust du jetzt so? Ja, wirklich, ich glaub ich bin schwanger! Ich habe da so ein Ziehen im Unterleib…“
L: (zeichnet einen imaginären Strich in der Luft.) „das war nun Ausreden Nummer 9 – und ehrlich: sie werden nicht besser…“
Dirk: „Du meinst ich sollte Laufen?“
L: (Nicken)
Dirk „…“
L: (zieht den Strich Nummer Zehn quer durch die letzten vier)
Am nächsten Morgen 5:15 Uhr
Eine freundliche Melodie meldet sich und meint, sie allein würde reichen, um ein Aufstehen zu dieser Zeit zu rechtfertigen. Da war doch was. Ach ja. heut ist Marathon.
Ich bin normalerweise kein „Snooze-Knopf-Benutzer“ aber an diesem heutigen Tage, der so schwer anfängt, wird er X Mal gedrückt, bis es dann so spät ist, dass ich mich eilen muss, um noch rechtzeitig zum Frühstück zu kommen.
Immerhin haben die Bediensteten des Hotels extra für mich (und, wie sich herausstellen soll, für ein paar weitere Läufer) ein Frühstück in dieser Herrgottsfrüh bereitet. Es wäre schon sehr unhöflich, das zu verschlafen.
Meine Frau und ich gehen zum Frühstücksraum. Dort sitzen schon L. und seine Frau. Beide sehen furchtbar müde aus – ich weiß die Ehre zu schätzen, denn Sie haben sich wegen mir bereit erklärt, so früh zu „speisen“ – das ist nicht ihre Art (ich meine das frühe Frühstücken – das „Nettsein“ hingegen, ist schon ihre Art.)
Es gibt Kaffee. Wichtig. Gut. Ohne Kaffee kann ich nicht. Nichts.
Dann versuche ich bemüht locker zum Frühstücksbuffet zu taumeln. Ich unterdrücke ein gähnen. Verdammt ist das früh.
Ich greife mir ein Brötchen, etwas Butter und ein bisschen Honig. Versuche zu lächeln. Aber es lässt sich nicht überspielen:
Ich find Honig am Morgen doof.
Ich mag auch keine Marmelade am Morgen.
Nun gut. Irgendwoher muss die Energie ja kommen.
Die Leute (also die Menschen, die meinen, etwas vom Laufen zu verstehen) sagen, es sei wichtig, sich mit einem leichten Frühstück mit Monosaccharide zu stärken. Ich hätte mir also genauso gut ein paar Löffel Zucker auf das Brötchen streuen können. Das täte weder dem Geschmack, noch der Wirkung einen Abbruch. *Grummel*
Noch ein bisschen Kaffee. Wenigstens der bleibt mir nicht verwehrt.
Das Honigbrötchen schmeckt dann wider Erwarten erstaunlich gut, aber ein zweites musste dennoch nicht sein – ich habe mir auf der gestrigen Messe genügend Dextrogele für unterwegs gekauft und die fettige Pizza gestern wird Ihre Energie bestimmt auch nur ganz langsam entfalten, so dass ich genügend Energie für den Marathon haben werde und auch wenn das nicht unbedingt richtig ist, die Pizza tat mir gut – das ist auch was wert. Ich bin also gut vorbereitet.
Heute gibt es keine Ausreden mehr. Ich werde laufen.
Die Besitzerin des Hotels wünscht uns noch viel Glück. (Sie ist selber ein paar Marathons gelaufen)
Auf dem Zimmer trinke ich noch ein bisschen Wasser und noch ein bisschen mehr Wasser.
Wasser ist wichtig, denn wenn man unterwegs dehydriert – ist der Lauf vorbei. Man muss seinen Körper ordentlich gewässert haben. Am besten, fängt man nicht erst direkt vor dem Lauf an ordentlich zu trinken, sondern ein paar Tage früher.
Dann ist es soweit. Ich ziehe meine Laufklamotten an: Lange Hose, Kurzarmshirt und Windjacke – es ist kalt draußen, 8 Grad – also noch eine Fliesjacke darüber, die wird meine Frau kurz bevor ich loslaufe an sich nehmen.
Ich bin die Ruhe selbst.
Zwar schaffe ich es, meine Startnummer beim Anbringen zu zerreißen aber das hat nicht zu sagen. Mir kam die eh ein bisschen dünn vor. All die anderen, also die ich bisher trug, waren eindeutig aus festerem Material gefertigt als diese hier.
Viertel vor Acht gehen wir endlich Richtung Fernsehturm. Dort soll er losgehen – der Marathon. Der Lauf startet um 9:00 Uhr.
Um den Bauch trage ich zwei Flaschen mit Wasser und 6 Gels. Ich mein Plan ist mir alle 7 KM eines zu nehmen, um der Hungerast vorzubeugen. Die Wasserflaschen werde ich wohl nicht benötigen, aber sie geben mir eine gewisse Sicherheit – denn bei meinen langen Läufen bin ich immer mit Wasser am Gürtel gelaufen.
Weil ich mich kurzfristig vor der Anreise entschiede hatte, die Flaschen aus meinem NoName Vierflaschenggürtel (die Flaschen funktionieren nämlich richtig gut) in meinen Nathan Laufgürtel (dessen Flaschen meines Erachtens richtig mies sind) zu stopfen, werden sie mich beim Laufen auch nicht stören (weil der Nathan-Gürtel wiederum, richtig gut ist). Allerdings sitzen die gürtelfremden Flaschen jetzt so fest in ihren Halterungen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich sie wirklich während des Laufs herausbekomme, sollte ich sie denn doch benötigen.
Naja, wenn sie fest sitzen, verliere ich sie wenigstens nicht. Das ist gut, denn die Flaschen sind – wie gesagt – ziemlich gut und ich will sie nach dem Marathon noch tragen. Da der richtige Gürtel in Osnabrück liegt, lohnt es sich nicht, sich mit „hätte ich doch“ Gedanken zu belasten…
…Oh Mann! Und wenn ich sie benötige, die Flaschen! Gerade so kurz vor Schluss…?
Solche und ähnlich wirre Dinge gehen mir durch den Kopf während wir immer noch auf dem Weg zum Startpunkt sind.
Nebenbei ist mir kalt – acht Grad sind nicht meine Lauftemperatur.
Noch ein Dixiklogang. Es stehen nur drei Männer vor mir – das geht schnell. Der HASPA-Hamburgmarathon ist anscheinend gut organisiert.
Nach dem Klogang schauen wir uns ein bisschen um.
Wir gehen zum Startbogen und wieder zurück. Ich werde nicht hier, sonder weiter hinten starten. Hier vorn unter dem Bogen werden die Favoriten stehen. Ich hundert Meter weiter hinten, bei den langsamen Läufern.
Es sind extrem viele Menschen hier und wahnsinnig viele davon wollen offensichtlich laufen. Wie verrückt sind die denn?
Ich rufe mir ins Gedächtnis: Gemeldet sind rund 16.500 Marathonläufer. Später werde ich Erfahren, dass letztendlich 13.307 Läufer tatsächlich starten werden und von diesen kommen 12.841 ins Ziel. Es gab also nur 466 Aussteiger – das ist wirklich wenig.
Aber zurück zum Start.
Dann treffen wir eine gute Bekannte. Sie richtet ein paar beruhigende Worte an mich. Auch sie ist vorbereitet. Sie hat Ihre Laufuhr um und ist guter Dinge, dass Ihr Plan funktioniert und, dass ich durch die 42,2 km kommen werde. (Zumindest vermittelte sie den Eindruck – was ich sehr nett von ihr fand.) Wir schwatzten noch ein bisschen (was mich angenehm ablenkte) dann machte sie sich auf zum KM1.
Im Unterschied zu mir läuft sie hier keinen Marathon. Sie hat sich vorgenommen an möglichst vielen Stellen den Läufern zuzujubeln. ,bei Km 1 wird sie beginnen, um dann an 8 verschiedenen Stellen den Läufern zuzujubeln. Um das zu bewerkstelligen wird sie einerseits laufen und die Verkehrsbetriebe zuhilfe nehmen. Insgesamt, hat sich ausgerechnet, wird sie 9,24 Kilometer unterwegs sein. Eine witzige Idee, finde ich.
Ich gebe meiner Frau meine Jacke und begebe mich zum Startblock L (L= Geplante Ankunftszeit 4:30) und bin froh, dass ich dort loslaufen werde und nicht weiter vorne stehe.
Zwischendrin hatte mich immer mal wieder der Teufel geritten, der mir einen Lauf in unter 4Stunden in den schillerndsten Farben ausmalte, welcher (zumindest in der Theorie) knapp drin sein sollte.
Diese „mögliche Zielzeit“ errechnet sich aus den früheren Wettkampfergebnissen. Wenn man also meine 49:05 auf 10 Kilometer – welche ich im letzten Jahr lief – für einen Marathon hochrechnet kommt man auf eine Zeit knapp unter 4:00:00 Uhr.
Meine „Teufel“ ging soweit, dass ich mir auf der Messe ein Zwischenzeitenarmband mit 3:59 hab drucken lassen. (auf diese Armbändern steht, wann man bei welchem Kilometer sein sollte.
Aber wozu? Fragte ich mich ein weiteres Mal.
Es ist nicht nötig, schalt ich mich.
Du willst den Lauf genießen, das wirst du nicht können, wenn Du mit der für eine Zielzeit 3:59:59 durch die Gegend läufst und du setzt das Ankommen aufs Spiel. Denn wenn man so knapp an seinen Möglichkeiten rennt, Ich die Chance groß, dass man sich übernimmt. Wozu also?
Doofer Ergeiz!
Noch einmal lief ich zu meiner Frau, um mir ein kurzes „Viel Erfolg“ und einen Kuss abzuholen. Dann ging‘s zurück ins in den Block L. Ich trabte in meinem Feld ein bisschen auf und ab, um mich warm zu machen (bzw. zu halten, denn es fing langsam an zu regnen – toll!:-( ). Am unteren Ende schaute ich über das Gatter (ja, die Blöcke waren mit Stahlzäunen abgetrennt) ob ich vielleicht eine gute bekannte Mitläuferin zu entdecken würde. Aber nein, ich konnte nirgends ihre pinken Socken entdecken. Schade, ich hätte ihr noch gern einen schönen Lauf gewünscht.
Ich begab mich wieder in die Mitte des Feldes, um dort der Dinge zu harren die da kommen würden. Einen letzten kurzes Aufkeimen von Panik und der Gedanke, man könne immer noch einen Nervenzusammenbruch vorschützen, wurde schnell beiseite geschoben.
Stattdessen machten die beiden junge Männer die nun neben mir standen und ich uns noch ein bisschen verrückt. (Beide waren auch auf Ihrem ersten Marathon). Anschließend wünschten wir uns noch Glück.
Pünktlich, um 9:00 Uhr, als die Luftballons zum Start der ersten Läufer hochflogen meldete sich meine Blase mit einem „Hallo? Könnten wir nicht kurz?“
Toll!
Die nächste Viertelstunde wartete ich und ignorierte das schüchterne Drücken meiner Blase. Denn 13000 Läufer können nicht gleichzeitig loslaufen. Sie werden Block für Block auf die Straße entlassen.
Als wir dann endlich – ca. 9:15 Uhr – lostrabten, nahm ich mir vor, die nächste Möglichkeit zu nutzen, um meine Blase zu entleeren, denn mit einer vollen zu Laufen nimmt einem jeden Spaß.
KM1-10 | Über die Startlinie und ab auf die Straße
Wir stapften langsam los. Bis zur Startlinie waren es bestimmt 100Meter.
Das kommt davon, wenn man so langsam ist wie ich, grummelte ich, dann muss man auch noch weiter als die Anderen laufen.
Ich nahm mir vor, schneller zu werden.
Durch den Startbogen und raus auf die Strecke liefen wir als riesengroßer Pulk. Schnell laufen war nicht möglich. So beließ ich es erst einmal dabei und genoss das Publikum:
Und das war unglaublich! Was für eine Party. Tausende von Menschen jubelten uns zu. Es gab viel zu laute Musik und wir wurden von einer riesigen Welle der Sympathie auf die Strecke entlassen.
Das Klatschen Johlen verfolgte mich noch viele hundert Meter. Nach dreihundert Metern bogen wir ab in die Glacischaussee. Hier wurde es leiser und erste Läufer verschwanden in den Büschen ich war also nicht der einzige mit diesem „Problemchen“.
Hier sollte es sein – länger zu warten, wäre doof, dass würde mir nur den Lauf erschweren, denn so ein Blasenungemach neigt dazu, viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – wer will das schon.
An der Glacischaussee parkten rechter Hand auf dem Heiligengeistfeld nur LKW-Anhänger, Wohnwagen und Gerümpel. (Links ist der Park Planten und Bloomen, aber dafür fehlte mir derzeit der Sinn). Ich sprintete also schnell in ein Gebüsch und beging eine Ordnungswidrigkeit.
Ja, manchmal ist Mann sein toll. Obwohl hier auch die eine und andere Frau die Gebüsche nutzten. Warum auch nicht?
So erleichtert begann für mich erst jetzt, auf Kilometer 1, der Marathon.
Anschließend bogen wir bei den „tanzenden Türmen“ auf die Reeperbahn ein. Die Tanzenden Türme sind zwei schwarz glänzende Hochhaustürme die auf dem oberen Drittel abgeknickt sich und sich anscheinend tanzend umringen. Ich mag die. Nach meiner Meinung eine wirklich gelungene Architektur. Vor allem in Hinblick auf die sich anschließende Reeperbahn, die als Kontrast das komplette Gegenteil der von Hochglanz und verspiegelten Fenstern ist.
Auf der Reeperbahn ist es ruhig. Die potentiellen Anwohner/-innen haben besseres zu tun, als uns zuzujubeln und die Wogen der Euphorie von Anfang glätten sich ein wenig.
In Richtung Altona ging es weiter.
Ich würde gerne etwas schneller laufen aber leider kann ich das nicht, denn der Tross von Läufern ist einfach zu groß. Immer wieder weiche ich Leuten aus und versuche rechts und links zu überholen. Meine Pinkelpause hat mich wohl in den „in 5 Stunden ankommen“ Pulk zurückgeworfen.
Na gut, denke ich. Ich muss ja nicht. Niemand zwingt mich zu rasen. Ich hole einmal tief Luft und nun endlich, treffe ich tatsächlich die endgültige Entscheidung, nicht auf meine Geschwindigkeit zu achten, sondern den Lauf langsam zu bestreiten und ihn so weit es eben geht, zu genießen.
Es geht auf der Elbchausse hinunter in Richtung Hafen. Es geht bergab und all diejenigen die mich eben noch bremsten rasen nun an mir vorbei. Unweigerlich musste ich an einen Läufer denken, der sich 1985 wegen dieses Abstiegs seinen Lauf versaute und mir eindringlist empfahl diese Senke langsam anzugehen. Ich musste ein bisschen Schmunzeln.
Wer von diesen Läufern hier – frage ich mich – wird sich hier jetzt wohl verheizen? Ich frage mich das, weil ich nicht nur schmunzle, sondern ihm insgeheim auch Recht gebe – hier könnte man sich wunderbar den Berg heruntertreiben lassen, ohne zu merken, wie sehr es die Beine und den gesamte Organismus beansprucht. Das wäre fatal. Ich nehme mich brav an die Kandare und lauf nicht schneller als gewünscht.
KM 10-21 | Die schönste Zeit
Bei meinen langen Trainingsläufen waren die Kilometer 10 bis 20 immer die schönsten. Ich befand mich noch auf einer leicht zu bewältigenden Strecke, war aber schon ein bisschen unter Spannung. Das ist eine gute Mischung, die Spaß bereitet.
So auch hier in Hamburg. Dazu kam das, ich kann es nicht anders sagen, geile Publikum!
Immer wieder werden wir von feiernden und jubelnden Manschen angefeuert. Immer mehr Hände kleiner Kinder gibt es abzuklatschen. Ich freue mich sehr über meinen Entschluss hier zu laufen und bin ein bisschen erschreckt darüber, als mich Jemand beim meinem Namen nennt: „Dirk, du läufst toll.“ Wer ich? Ich kenn Sie nicht… Ach meine Nummer – mein Name steht darauf -das ist nett.
Und weiter Menschen rechts und links. Massen die feiern und jubeln. Am Fischmarkt dann zur Linken Musiker die alte Hafenlieder zum Besten geben. Ein Mann mit weißem Bart singt gerade „La Paloma ohe …“ Wie schön!
Immer weiter wird gefeiert und ich merke nicht, wie ich laufe. Das Ganze fühlt sich an, wie eine einzigartige Sideseingtour bei Freunden, denen man etwas Gutes getan hat und die einem dies nun vergelten. Nur, was? Warum bejubeln sie uns?
Egal – es ist toll.
Mittlerweile befinde ich mich an den Landungsbrücken. Die Feier hörte erst vor dem Wallringtunnel auf. UNd nun, da es kein Publikum mehr gibt, wird das Klatschen und Johlen wird hier unten von uns Läufern übernommen. Ja, es mach Spaß in einem Tunnel zu johlen.
Wir schreiben den KM 15 – Keine Spur von Erschöpfung – nur gute Laune.
Der Lauf führt rund um die Binnenalster. Auch hier wird kräftig gefeiert und gejohlt. Vorgestern habe wir noch im Alsterschiff „Galatea – Bei Bruni“ geschlemmt – Lecker war‘s und ich bin froh, nicht – zugunsten irgendeiner Sportlernahrung – auf meine Pizza Diavolo verzichtet zu haben – die war nämlich sehr lecker und hat nicht geschadet.
Weiter geht’s um die Binnenalster.
Am Jungfernstieg geht es wieder richtig rund. Das zieht sich bis zum Neuen Jungfernstieg. Ich laufe mittlerweile in „Hab Acht“ und mitten auf der Straße, denn meine Frau und L. (samt Frau) wollten bei km 17 stehen.
Erst auf der Lombardsbrücke entdecke ich sie. Das Lächeln fällt mir nicht schwer – mir geht es super. Meine Frau johlt glücklich, ich zeige beide Daumen nach oben, L.’s Kamera rattert wie ein Gewehr, seine Frau wird noch abgeklatscht und weiter geht‘s.
Nun laufen wir an der Außenalster entlang – hier wird es ein wenig ruhiger – man muss ja auch mal ein bisschen zu sich kommen, bei der ganzen Feierei.
Bis km 21 bleibt es dann ruhig – was nicht heißt, dass hier keine Leute sind. Es sind aber nur noch 5-10 statt Hunderte auf 50 Meter. Aber auch die jubeln und freuen sich. Auch werden uns weitere Kinderhände entgegengehalten und weiterhin kann ich sie abklatschen, was ich mit Hingabe tue.
Bei der 21,1 Matte dann ein Schock: Als Zeit steht da was von 2:17:00 Adieu Sub 4:30:00.
Aber der 4:30 Pacer – ging es mir langsam auf – der ist doch weit hinter mir den habe ich vor geraumer Zeit überholt. Ich benötigte mindesten einen weiteren Kilometer, um mir klar zu machen, dass es sich bei der Anzeige um die Bruttozeit handelt und nicht um meine eigene Zeit.
KM 21,1 – 30 | noch ist nicht Land unter
Ich laufe weiterhin ziemlich unbeschwert. Hier geht es durch ein Parkgebiet und immer wieder sitzen und stehen Leute an den Straßen. Es gibt immer noch keine hundert Meter auf denen nicht wenigstens zwei oder drei Leute und anfeuern.
Ich glaube, irgendwo auf diesem Teilbereich schafft es der Haspa Marathon mir dann doch die Tränen in die Augen zu treiben. Und ich bin wirklich nicht nahe am Wasser gebaut:
Am Wegesrand steht ein Pärchen. Beide ganz schlicht. Sie mit einer Bratsche und er mit einem Akkordeon und sie spielen Amazing_Grace.
Ich meine, Musik gibt es allenthalben auf diesem Rennen und es wird überall Party gemacht, getanzt und gesungen aber diese beiden hier, in Ihrer bescheidenen zurückhaltenden Weise. Unglaublich. Sie stehen auch nicht direkt am Straßenrand, sondern ein wenig im Hintergrund auf dem Bürgersteig, umringt von einem grünbewachsenen Hofeingang.
Das Melodielein trieb es mir dann in die Augen – das Wasser.
Ja, es ist eine erstaunliche Gnade, die mir hier zuteil wird. Jetzt zu leben hier zu laufen. Wunderschön.
Diese Weise trug mich viele Kilometer und ich blieb lächelnd auf der Strecke.
KM 30-35 | warte nur, ich komme
Über die Kilometer 30 bis 35 gibt es nicht viel zu berichten. Ich merke natürlich, dass es schwerer wird zu laufen. Aber ich laufe im grünen Bereich und mache mir keine Sorgen, dass ich das Ziel nicht erreichen könnte. Meine Beine laufen rund meine Atmung ist ruhig. Ich nehme mir vor, das Tempo etwas anzuziehen. Ich laufe nun 5:50min/km – dafür nehme ich mir nun etwas mehr Zeit an den Wasserstationen. Noch immer sind da Leute an den Straßen.
Km35-42,195| nicht aller Tage Abend?
Auf km 35 geht es dann wieder los mit der Party. Musikwagen an den Straßenrändern und tanzende Leute und johlendes Volk.
Warum seid Ihr noch hier? fragte ich mich. Wegen uns? Wir sind doch zwei Stunden hinter dem ersten Feld und Ihr tut so, als seien wir total wichtig. Wie schön!
Immer wieder werde ich angesprochen. „Dirk, du schaffst das“
Sehe ich denn so fertig aus?
Komisch, eigentlich geht’s doch gut.
Bei Kilometer 37 wird mir klar, was die Leute gesehen hatten. Ich will nach Hause! Blöd nur, dass ich wegen 5 Kilometer aber nun auch nicht mehr aufgeben will. *grummel* Es heißt also weiterlaufen.
Nächstes Mal, denke ich, wirst du deine Kräftigungsübungen und Kniebeugen ordentlich durchziehen.
Meine Oberschenkel vorne machte sich mehr als bemerkbar und drängten auf ein baldiges Ende. Der Rest meiner Beine strebte dem Boden zu und beharrten darauf, dort bleiben zu wollen. Atem hatte ich aber noch genug. Wenn nur diese schweren Beinen nicht wären.
Es ist wieder ruhiger geworden doch am Kreisel am Eppendorfer Baum, geht die Feier wieder los. „Dirk, hörte ich jemanden sagen „Du siehst toll aus. Du schaffst das“ Ich schaute auf und sehe…
Wieder jemand völlig Fremden. Aber diese Worte tun gut.
Sie sind wie Balsam auf meinen geschundenen Füßen und tragen mich weiter. Das kommt noch ein paar Mal vor. Und ich fühlte mich tatsächlich besser. Ich fange wieder an Umwege zu laufen, um Kinderhände zu klatschen. Trotz des Leidens. Ich laufe weiter am Straßenrand, um mir weitere „Du schaffst das“ abzuholen. Das war so Gut!
Von den Balkonen einiger Wohnblogs kommt Musik. Die Bewohner haben Fenster und Türen weit aufgerissen und lassen uns an Ihrer Balkonfeier und Musik teilhaben. Heftigstes Metall und ein headbängender Darth Vader auf der zur Rechten.
Hundert Meter weiter links, wunderschöne Frauen mit langen schwarzen Haaren und engen langen schwarzen Kleidern die zu spanischer oder portugiesischer Folklore die Hüften schwingen. Ich kann nicht anders, ich muss meinen geschundenen Körper zum mit Wippen zwingen. Ein Grinsen auf meinen Lippen. Das treibt nach vorne.
Mittlerweile bin ich umringt von Spendenläufern. Ich laufe auf Höhe des Spendenläuferfahrrades. (auf dem der Fahrer die später kommenden Spendenläufer ankündigt und das Publikum bittet, etwas Geld in die hingehaltenen Eimer zu werfen.) Bei Kilometer 40 ungefähr müssen wir rechts ab. Der Spendenläuferfahrradfahrer ruft uns zu: „Seid vorsichtig! Dies ist die vorletzten Steigung bis zum Ziel. Dieser Hügel ist fies, der zieht sich. Lauft langsam.“
Ich fragte mich noch, was genau er mit „Vorletzte“ meinte, doch mein Entsetzen über seine Worte geht gleichmäßigen Tripptrapp meiner Füße unter.
Die schon seid geraumer Zeit an mir vorbeiziehenden „Geher“ stachelten mich einerseits an, und und gut, denn dieses „einsammeln“ tut der Psyche immer gut.
Auf der anderen Seite aber geht von ihnen ein gewisser Sog aus:
Man muss ja schließlich nicht mehr laufen. Wer jetzt geht, ist kein Schwächling. Man kommt dennoch ins Ziel und darf sich Marathoni nennen.
Aber Nein!
Gehen gilt nicht!
Die vorletzte Steigung ist vorüber und die letzten kommt. Auch sie lässt sich bewältigen. Dann noch einmal nach Rechts abbiegen.
Noch 200 Meter
Meine Frau, L. und dessen Frau johlten mir vom rechten Rad zu.
Das Publikum machte einen Heidenradau.
Ohrenbetäubende Musik ringt sämtliche Schwäche nieder.
Sambatänzerinnen mit Pompons tanzten als Spalier auf dem roten Teppich.
Jetzt nicht die Gesichtszüge entgleiten lassen.
So tun als ob nichts wäre.
Und: SPRINT INS ZIEL!
Dieser Sprint gelingt großartig.
(Das mir anschließend kurz ein bisschen übel wird, schaffe ich zu ignorieren – es hört nach ein paar Sekunden auch wieder auf.)
Im Ziel wird mir eine Finisher Medaille um den Hals gehängt und somit war ich angekommen und ein echter Marathonläufer…
42,195 Kilometer – das ist schon was.
Fazit
Ich glaube Hamburg hat mich versaut. Ich glaube, wer einmal in Hamburg Marathon gelaufen ist, wird all die meisten anderen Marathonläufe langweilig finden, so toll war es dort.
Dadurch mich war dies aber der schönste und leichteste Einstieg in den Marathon. Man wird von der guten Stimmung über die komplette Strecke getragen und diese Stadt, dieses Publikum ist, ergreifend herzerwärmend und mitreißend.
Danke Hamburg!